© NANAnet Misburg-Anderten
Misburg-Süd in Geschichte und Gegenwart
Werden und Wandel der ehemaligen Arbeitersiedlung „Jerusalem“
Bildbericht: Gisbert Selke
28.01.2020
Der Raum Misburg-Anderten war für die zuwandernden Industriearbeiter aus dem Osten des Deutschen
Kaiserreiches und darüber hinaus keineswegs das Eldorado des deutschen Westens, obwohl die Arbeits- und
Verdienstmöglichkeiten immer noch aussichtsreicher waren als in den heimatlichen Ostprovinzen. Nicht nur das
Ruhrgebiet und der Berliner Raum benötigten viele Arbeitskräfte. Auch im Osten Hannovers wäre die
Entwicklung der Industrie ohne die massiven Zuwanderungen aus den Preußischen Provinzen Westpreußen
und Posen nicht möglich gewesen. Der hiesige Arbeitsmarkt war leergefegt.
Es kamen aber nicht Wanderarbeiter, sondern Menschen, die Familien gründeten, Kinder bekamen und
Wohnungen brauchten.
1897 wurde auf Initiative des Direktors der Hannoverschen Portland Cementfabrik AG Maximilian Kuhlemann
der Bauverein Misburg-Anderten gegründet, um Wohnraum auf genossenschaftlicher Basis und
Wohneigentum zu schaffen. Auf dem direkt an der Gemarkungsgrenze nach Anderten gelegenen Kleifeld
wurden insgesamt vier Straßen geplant.
Industriegebiet Misburg-Anderten um 1920
1899 wurde das erste Haus, die Gaststätte Ruhkopp, später Alfred Otto errichtet. An der Straße Am
Bahnhof entstanden innerhalb kurzer Zeit weitere Gaststätten und Geschäftshäuser, in der Liebrechtstraße,
der Hartmannstraße und der Vereinsstraße (später Max-Kuhlemann-Straße genannt) genossenschaftliche
Mehrfamilienhäuser und Wohneigentum.
Der überwiegende Teil der neuen Bewohner war katholisch. Deshalb begann man um 1900 mit der Planung
einer katholischen Kirche. 1904 erfolgte die
Grundsteinlegung. Bereits nach 11
Monaten wurde das neue Gotteshaus am
08. Oktober 1905 geweiht und erhielt den
Namen Herz-Jesu-Kirche. 1907 wurde die
Katholische Volksschule eröffnet. Die
1902 erbaute Evangelische Volksschule
befand sich neben der St. Johanniskirche
an der Bahnhofstraße (heute Anderter
Straße).
Die nach dem ersten Pastor der neuen
Gemeinde Karl Kopp benannte
Karlstraße wurde auf der nördlichen Seite
großflächig erst zwischen den beiden
Weltkriegen bebaut. Die Häuser auf der
südlichen Seite bis zur Gemarkungsgrenze
nach Anderten entstanden erst nach dem
Zweiten Weltkrieg.
Bald nach seiner Entstehung bekam der neue Ortsteil seinen Spitznamen Jerusalem, die „Stadt auf dem
Berge“ mit dem „Tempel“ in der Mitte. Ökumene wurde damals noch sehr klein geschrieben.
Nach den verheerenden Zerstörungen durch
den Bombenkrieg von 1940 bis 1945 und
dem Wiederaufbau wandelte sich der
südlichste Teil Misburgs zu einem
heterogenen Quartier, in dem es kein „Oben“
und „Unten“ gibt. Die Nachfahren der
Zuwanderer von damals haben sich längst
integriert. Lediglich die Namen an einigen
Haustüren und auf den Grabsteinen des
Waldfriedhofs erinnern hier und da noch an
die Gründerjahre.
Im Zuge der Gebietsreform von 1974
wurden die Gemeinde Anderten und die Stadt
Misburg in die Landeshauptstadt Hannover
eingemeindet und später zum Stadtbezirk
Misburg-Anderten zusammengefasst. Auch
die politischen Grenzen änderten sich und
wurden den Wahlbezirken angepasst. Misburg-Süd reicht aktuell bis an die Eisenbahnstrecke von Fernbahn
und S-Bahn mit dem Haltepunkt Hannover-Anderten-Misburg heran, so dass unter anderem auch das zur
Gemarkung Anderten gehörende Kleine Nordfeld Teil von Misburg-Süd wurde.
„Jerusalem“
Ahlten
Hafen
Leben kann man nur vorwärts,
das Leben verstehen nur
rückwärts.
Søren Aabye Kierkegaard
Am Bahnhof - Blick nach Norden auf die Güterbahnbrücke
Am Bahnhof - Blick nach Norden von der Einmündung der Karlstraße
Herz-Jesu-Kirche und „Jerusalem“ vom Kleinen Nordfeld gesehen
Spielplatz - Blick nach Süden - im Hintergrund Kirche und Schule
Zerstörte Herz-Jesu-Kirche nach dem 15.03.1945
Hochzeit im zerstörten „Jerusalem“ vor 1950
Trümmerräumen mit Verwandtenhilfe und Kinderarbeit
Wiederaufbau Haus Selke
Herz-Jesu-Kirche heute
Karlstraße heute
Misburg-Süd - Blick über das Kleine Nordfeld nach Anderten
© Michael Traue