© NANAnet Misburg-Anderten
Ein Leben am Kanal
Text und Bilder: Klaus-Michael Schridde
Einrichtung: Gisbert Selke
Ich lebe seit 1949 in Misburg, zuerst mit meinen Eltern und Schwester, später mit Ehefrau und
eigenen Kinder, heute solo mit Ehefrau. Unsere erste Wohnung war 1949 ganz in der Nähe des
Kurhauses Friedenstal. Als Kinder spielten wir fast täglich am Kanal, schauten den
vorbeifahrenden Schiffen zu.
Damals gab es Selbstfahrer, das
waren einzeln fahrende Schiffe
und dann waren da die Schlepper,
diese zogen mehre einzelne
Schiffe, die durch Stahltrossen
miteinander verbunden waren,
hinter sich her. Im Sommer sind
wir noch im Kanal geschwommen,
obwohl der auch damals nicht
ganz sauber war, sprangen von
der Brücke in den Kanal,
schwammen an die Schiffe ran,
fuhren mit den Schiffen mehrere
Kanalbrücken weiter, kamen mit
uns entgegen kommenden
Schiffen wieder zurück. Nicht alle
Schiffsführer tolerierten dieses, es
war ja gefährlich.
Im Winter, der Schnee blieb damals noch wochenlang liegen, rodelten wir die Kanalböschung
hinunter, manchmal wären wir fast in das Wasser gefallen. In vielen Jahren war der Kanal im
Winter zugefroren, da konnten wir sogar auf dem Eis Schlittschuh laufen.
Manch eine Kanne voll Wasser haben wir aus der damals laufenden Quelle (in Nähe der Eiche)
geholt, da das normale Leitungswasser aus dem Wasserwerk am Waldfriedhof Misburg zum
Kaffee kochen - zumindest für Besucher Misburgs - nicht genießbar war. Dieses Quellwasser war
immer ein erfrischendes Getränk, ich habe manchen Schluck davon genossen.
Etwas ist mir noch unangenehm in Erinnerung geblieben. Damals haben die Menschen nicht nur in
schönen Wohnungen gelebt; nein, manche lebten in Behelfsheimen, das waren Holzbaracken.
Hier in unmittelbarer Nähe zur Quelle lebten Menschen zusammen mit ihren Tieren in solchen
Baracken. Eines dieser Tiere war ein Ziegenbock. Ich fuhr damals mit dem Fahrrad zweimal
wöchentlich zum Fußballtraining nach Hannover und musste immer an dieser Baracke vorbei. Es
stank dermaßen widerlich; schon 100 m vor bis 100 m hinter der Baracke musste ich mir die Nase
zuhalten und den Atem anhalten, sonst wäre mir übel geworden. Dieser Ziegenbock hatte aber
auch seine Daseinsberechtigung, immer wieder wurden ihm von anderen Menschen Ziegen
zugeführt, er sorgte also für deren Ziegennachwuchs. Auch damals waren die Ziegenmilch und die
daraus gemachte Butter oder Käse sehr nachgefragt.
Wohnungsmäßig habe ich mich
vom Mittellandkanal nie weiter als
15 Kilometer entfernt. Jetzt, als
Pensionär, wohne ich wieder in
Sichtweite des Kurhauses
Friedenstal, fahre fast täglich am
Kanal entlang und genieße die
Ruhe. Weiter sind am Kanal noch
anzutreffen: zahlreiche Radfahrer,
Jogger, Nordic Walker (dieses ist
eine Ausdauersportart, bei der
Gehen durch den Einsatz von zwei
Stöcken im Rhythmus der Schritte
unterstützt wird) und natürlich
Spaziergänger. Ab und zu
schwimmen Schwäne und Enten
auf dem Kanal; ihren Nachwuchs
präsentieren sie uns dann ganz
stolz.
Angler versuchen hier an vielen Stellen ihr Glück. Ich rufe ihnen „Petri Heil!“ zu. Die von den
Anglern dort gefangenen Fische würde ich aber nicht verspeisen. Ich erfreue mich an den
unterschiedlichen Sträuchern, Bäumen, Blumen, Gräsern, blühenden Brombeeren; ja, es wächst
sogar Schilf mit den dazu gehörigen Rohrkolben (Lampenputzer).
Nicht so angenehm ist es, wenn sich Alkohohl trinkende Menschen am Kanal aufhalten, leider
vergessen sie allzu oft dabei, dass der Kanal eine Ruhezone ist.
Ich schaue den kleinen und großen
vorbei fahrenden Schiffen zu. Es
fahren hier schnelle und noch
schnellere Schiffe. Interessant ist
es, wenn die Schiffsführer
versuchen sich zu überholen. Dann
ist es fast wie auf der Autobahn.
Viele hundert Meter fahren sie
gleichschnell nebeneinander,
keiner will nachgeben.
Spätestens wenn ein entgegen-
kommendes Schiff in Sicht kommt,
gibt der Klügere nach. Gut, dass es
den Transportweg Mittellandkanal
gibt. Transportiert werden, Kohle,
Zement, Schrott, Holz und sogar
Rotorblätter für Windkraftwerke.
Die Quelle gibt es schon lange nicht mehr, das ist schade. Dafür tritt an einigen Stellen Wasser aus
der Böschung. Die Qualität des hannoverschen Wassers ist ja auch viel, viel besser als vor 60
Jahren. Auch der Geruch des Ziegenbocks ist längst verschwunden, statt der Behelfsheime stehen
dort nun schmucke Häuser.
Es gibt in Misburg sicherlich viele schöne Plätze; hier am Kanal finde ich es aber am schönsten.
Wir leben hier ja nicht am Mississippi, Abenteuer wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn haben wir
nicht erlebt, spannend aber war es früher und ist es auch heute noch.