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nach oben Einzelmeldungen (Quellen) über den Angriff am 15.03.1945
Siegfried Engelhardt Der Doppelschlag der Amerikaner und Engländer am 14. und 15. März 1945 An der Westfront hatten die Amerikaner am 7. März 1945 den Rhein bei Remagen überschritten und der endgültige Zusammenbruch des Widerstandes an den Fronten zeichnete sich ab. Die Luftoffensive gegen Ziele im Hinterland wurde aber unvermindert fortgeführt, obwohl es kaum noch Ziele gab, die nicht bereits zerstört waren. Am Sonnabend, dem 3. März, flog die 8. US-Luftflotte schwere Angriffe gegen Chemnitz und Magdeburg. Aber auch die kleinen Ölwerke in Dollbergen und Nienhagen wurden angegriffen und etwa 100 Bomber des Typs B-17 nahmen Kurs auf Hannover. Davon griffen 82 die Hanomag in Hannover und 23 die Deurag-Nerag in Misburg an. Abgeworfen wurden bei diesem Angriff etwa 70 t Sprengbomben, die im Gelände zwischen Straßenbahndepot (Kreisstraße), Güterbahnhof und Norddeutsche PC einschlugen. Aber auch die Max-Kuhlmann-Straße wurde getroffen. Dabei wurde das Pfarrhaus total zerstört. Die katholische Kirche wurde nur leicht beschädigt. Die Alarmserie am 14. März 1945, es war ein Mittwoch, begann um 11.00 Uhr mit „Öffentlicher Luftwarnung“. Erst um 14.00 Uhr heulten die Sirenen „Vollalarm“. Gegen 14.30 Uhr wurde dann der Anflug starker Bomberverbände auf den Raum Hannover gemeldet. Nach dem Kriegstagebuch der 8. US-Luftflotte waren es ca. 500 schwere Bomber vom Typ B-17 und 200 Langstreckenjäger vom Typ Mustang. Davon waren 210 auf die Hanomag und die Eisenwerke in Hannover, 140 auf Eisenbahnanlagen in Seelze und Hannover und je 60 auf die Ölanlagen und Raffinerien in Nienhagen und Misburg angesetzt. Misburg wurde sofort eingenebelt, gleichzeitig fielen in Hannover auch schon die ersten Bombenteppiche. Der Angriff auf Misburg begann kurz vor 15.00 Uhr. Insgesamt wurden dabei 193 t Sprengbomben abgeworfen. Glücklicherweise fiel wiederum ein großer Teil der Bomben außerhalb des Ortes ins freie Gelände. Etwa 80 mittlere und schwere Sprengbomben trafen den Ortsbereich, und zwar den Güterbahnhof, das Straßenbahndepot, die HPC, die Norddeutsche PC, die Deurag-Nerag und die Bahnhofstraße. Von den Werken wurden aber keine neuen Schäden gemeldet. Die Kanalbrücke am Hafen erhielt einen Bombentreffer am südlichen Widerlager, so dass der Bürgermeister die Sperrung und Überprüfung der Tragfähigkeit beantragte. Die Bahnhofstraße selbst war von der Brücke bis zur Kreisstraße wegen Bombentrichter unpassierbar. Eine Anfahrt nach Misburg war über Anderten nicht mehr möglich. Der Hof Sonnemann war schwer getroffen worden und die Scheune stand in Flammen. Die Freiwillige Feuerwehr wurde sofort nach dem Angriff zum Löschen eingesetzt. Wohnhäuser wurden auch in der Kurzen Straße, Am Alten Schützenplatz (Thönser Straße) und in der Behelfsheimsiedlung am Forstkamp zerstört. Damit wurden wiederum 60 Mitbürger obdachlos. Der nächste Tag, der 15. März 1945, begann mit der ersten „Öffentlichen Luftwarnung“ um 10.30 Uhr aber bereits 15 Minuten später wurde Entwarnung gegeben. Eine Stunde später heulten erneut die Sirenen. Um 13.30 Uhr wird Misburg vernebelt. Es blieb jedoch ruhig, Entwarnung gab es aber erst um 17.30 Uhr. Bis 20.00 Uhr hatten die Misburger nach stundenlangem Bunkeraufenthalt dann freien Ausgang. Als die Misburger sich an diesem Abend wieder in die Bunker und Schutzräume zurückziehen mussten, nahmen sie an, dass wieder einmal, wie schon so oft, „Mosquitos“ im Anflug waren. Aber die acht „Mosquitos“ die Kurs auf Misburg nahmen waren als „Pfadfinder“ nur die Spitze eines Bomberverbandes und sie trugen diesmal auch keine Luftminen an Bord sondern Zielmarkierungsbomben. Ihnen folgten 257 schwere Lancaster-Bomber, vollgepackt mit Spreng- und Brandbomben und Luftminen. Zehn Minuten nach 21.00 Uhr begannen die Flakbatterien zu schießen. Zu diesem Zeitpunkt flammten über Misburg grüne, rote und weiße „Tannenbäume“ auf. Die bisher noch offenen Bunkertüren wurden in Windeseile verriegelt. Dann brach auch schon das Inferno los. Von 21.11 bis 21.29 Uhr bebte der Boden und die Bunker schwankten. Das Licht fiel wie immer sofort aus und alle saßen oder standen eng gedrängt im Dunkeln. Die Folge der Einschläge war so dicht, dass einzelne Angriffswellen, bzw. Bombenteppiche wie bei den Tagesangriffen der Amerikaner, gar nicht erkennbar waren. In den Bunkern war deutlich zu spüren, dass unter den detonierenden Bomben auch einige ganz dicke Brocken waren. Als dann gegen 21.30 Uhr die Einschläge und das Krachen der Detonationen aufhörten, konnte man durch die Lüftungsschlitze der Bunker das durchdringende Zischen des unter hohem Druck aus den zerborstenen Rohrleitungen der Deurag austretenden Dampfes hören. Ein sicheres Zeichen dafür, dass die Raffinerie auch wieder getroffen wurde. Aber der Höllentanz war noch nicht vorbei. Nach fünf Minuten Pause kam eine weitere Bombenserie herunter und erst um 21.50 Uhr war alles vorbei. Der Angriff hatte genau 37 Minuten gedauert und es war der schwerste, den Misburg jemals erlebt hatte. Nachdem sich dann die ersten zur Erkundung aus den Bunkern wagten, verbreitete sich schnell die Nachricht, dass nicht nur die Deurag in Flammen stand, das war schon beinahe normal, sondern auch über „Jerusalem“ und den Zementwerken der Himmel glutrot erleuchtet war. Gegen 23.00 Uhr wurde der Befehlsstelle Misburg über Funk die Entwarnungsmeldung durchgegeben. Sirenen und Telefon funktionierten in Misburg nicht mehr. Der Angriff galt zweifellos der Deurag-Nerag. Getroffen wurde aber insbesondere Misburg-Süd. Im Angriffsreport der R.A.F. steht kurz und knapp „Die Sicht war gut und es wurden einige Feuer entfacht, aber das Hauptgewicht des Angriffs fiel südlich des Ziels. Vier Lancasters gingen verloren.“ Etwa 5000 Sprengbomben und ca. 20 000 Brandbomben hatten südlich des Stichkanals schwerste Zerstörungen angerichtet. In dem Wohngebiet zwischen der Straße Am Bahnhof (Anderter Straße), Karlstraße, Max-Kuhlmann-Straße, Liebrechtstraße und Hartmannstraße war ein Flächenbrand entstanden. In den Werken HPC, Germania, Teutonia, Kraul u. Wilkening u. Stelling, Heag und in der Papier- und Papiersackfabrik wüteten Großbrände. Der Straßenzug Bahnhofstraße - Am Bahnhof (Anderter Straße) existierte zwischen Kanalbrücke und Güterbahn nicht mehr. Die Bombentrichter lagen so dicht, dass man Mühe hatte die Strecke zu Fuß zurückzulegen. Kanal- und Güterbahnbrücke waren durch Treffer an den Widerlagern schwer beschädigt und nur für Fußgängerverkehr notdürftig passierbar. Ein ganz schwerer Brocken hatte auf der Bahnhofstraße vor der Einmündung der Straße Am Seelberg einen Krater von ca. 25 m Durchmesser aufgerissen. Weitere Bomben dieses Kalibers (1000 kg) waren im Gelände südlich des Hafens eingeschlagen. Auf der Deurag-Nerag brannten zwei Rohöltanks in der Nähe der Wiesenstraße und die Entasphaltierungsanlage. Das Feuer in dieser Anlage konnte aber schon kurz nach Mitternacht gelöscht werden. Getroffen und beschädigt wurden auch Kesselhaus und Kraftwerk der Nerag. Von den 1233 t Sprengbomben, die bei diesem Angriff auf Misburg abgeworfen worden sind, trafen nur 7,2 t das eigentliche Ziel. Bei diesem Angriff kamen leider aber auch wieder 14 Menschen ums Leben. Unter den Opfern waren Direktor Grosse von der HPC und seine Ehefrau, die im Schutzraum ihres Hauses verschüttet wurden und nur noch tot geborgen werden konnten. Zwei Männer kamen im Eingangsbereich des Bunkers Karlstraße zu Tode, weil sie versuchten die durch Naheinschläge aufgerissenen und beschädigten Schutztüren notdürftig zu schließen. Zwei weitere Männer wurden dabei schwer verletzt. In den von Bomben getroffenen Häusern Liebrechtstraße 12 und Bahnhofstraße 8a wurden ebenfalls zwei Männer getötet. Auf dem Kanal wurde ein Wohnschiff für dienstverpflichtete Arbeiter durch Bomben versenkt. Dabei war ein Schweißer aus Hamburg ertrunken. In den Arbeiterlagern auf dem Gelände der Germania, der Norddeutschen PC und der Gaststätte Schrader (Liebrechtstraße) kamen sieben ausländische Arbeiter ums Leben. Der öffentliche Luftschutzraum auf der HPC, der sich unter einem Zementsilo befand, mußte sofort nach dem Angriff geräumt werden, weil der Schutzraum durch Naheinschläge und einem Großbrand in unmittelbarer Nähe gefährdet war. Bürgermeister Stegmann betont in seiner Schadensmeldung, dass die Bergung durch den umgebenden Großbrand sehr erschwert war und lediglich durch die besonnene Haltung der etwa 400 Schutzsuchenden ohne Verluste durchgeführt werden konnte. Ebenso hatte es in einem Erdstollen der Norddeutschen PC eine kritische Situation gegeben, weil alle sechs Eingänge verschüttet und damit an die 400 Menschen eingeschlossen worden waren. Sie konnten sich jedoch selbst wieder befreien. Die Schäden in den Wohngebieten waren außerordentlich groß. Zwischen Liebrechtstraße, Karlstraße und Max-Kuhlmann-Straße blieb kaum ein Haus heil. Von der Herz-Jesu-Kirche standen nur noch der Turm, einige Pfeiler und die Außenmauern. Die Volksschule 2 war nur noch ein Trümmerhaufen. In Misburg gab es damit keinen einzigen Schulraum mehr. Total zerstört wurden 104 Häuser. Schwerbeschädigt wurden 27 und weitere 19 wurden mittelschwer beschädigt. Das hatte zur Folge, dass auf einen Schlag erneut 3000 Menschen obdachlos geworden waren. Die Wasserversorgung von Misburg-Süd konnte ab Hafen zunächst nur mit Feuerwehrschläuchen, später mit oberirdisch verlegten Schnellkupplungsrohren erfolgen. In der Schadensmeldung des Bürgermeisters hieß es deshalb zum Schluss: In Anbetracht der neu eingetretenen Schäden in Verbindung mit den bereits vorhandenen Schäden ist eine Unterbringung der neu obdachlos gewordenen Bevölkerung nicht durchführbar. Ich schlage daher zwangsweise Evakuierung vor. Diese Evakuierung wurde aber nicht durchgeführt. Wohin sollte man die Obdachlosen in dem allgemeinen Chaos, das inzwischen überall herrschte, auch noch bringen? Die Misburger haben sich selbst geholfen und, so gut es ging, erhalten gebliebene Kellerräume notdürftig als Unterkünfte hergerichtet. Auch die Misburger und Anderter Industriebetriebe waren nach diesem Angriff am Boden zerstört. Keines der Werke konnte noch vor Kriegsende wieder in Betrieb genommen werden. Die Norddeutsche PC war sogar so stark zerstört, dass sie auch nach dem Kriege nicht wieder aufgebaut wurde. Quelle: Siegfried Engelhardt 5 Jahre im Hagel der Bomben - Die Chronik der Luftangriffe auf Misburg 1940 - 1945 Selbstverlag Siegfried Engelhardt, Hannover 1994 - S. 104ff
Mehr Informationen:
Das Buch ist erhältlich bei Wegeners Buchhandlung Hannover-Misburg Buchholzer Straße, Ecke Knauerweg
Zerstörte Zementwerke Germania und HPC
Am Bahnhof (Anderter Str.) - Ecke Karlstraße - Blick nach Norden
Zerstörte Volksschule II (kath. Schule) - heute Max-Kuhlemann-Str. 12 - 18
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